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Da komm ich her, da will ich hin


Jurij Rodionov ist in Nürnberg geboren, im niederösterreichischen Matzen aufgewachsen und in Wien-Favoriten sesshaft geworden. Der Bezug zum Land seiner Eltern beschränkt sich auf die Sprache, die er fließend beherrscht, sonst bleibt Weißrussland für den Linkshänder, der im zarten Alter von vier Jahren erstmals zum Racket griff, eher eine unbekannte Größe.

 

„Ich werde oft auf meine Herkunft und Wurzeln angesprochen, dabei bin ich seit meinem zweiten Lebensjahr in Österreich und unglaublich stolz, rot-weiß-rot als Sportler repräsentieren zu dürfen.“

 

Dem mittlerweile 21-Jährigen wird seit Jahren von Egor, seinem älteren Bruder und Athletik-Trainer Florian Pernhaupt, hinsichtlich Organisation, Planung, Management, Fitness und Analyse, der Rücken freigehalten.

 

„Die beiden waren und sind ungemein wichtig für meinen Weg. Wir gehen durch dick und dünn, dass schweißt zusammen. Ich vertraue ihnen blind und weiß, was ich ihnen zu verdanken habe.“

 

2018 feierte Rodionov, der sich in der Junioren-Weltrangliste bis auf Rang 7 vorgespielt hat, in Almaty seinen ersten Sieg auf der Challenger Ebene und schaffte damit den Sprung in die Top-300 der Weltrangliste. Elf Monate später gelang der zweite Streich, abermals in Kasachstan (Schymkent), diesmal im Doppel, anschließend riss der Faden. Die Weiterentwicklung stagnierte, eine Reaktion und neue Reize waren gefordert. Jurij schloss sich der Trainingsgruppe von Wolfgang Thiem an, wo er neben der starken Sparringpartner vor allem durch die Kontakte von Thiem und Nicholas Massu profitiert, die ihm Javier Frana vermittelten. Die Inputs des neuen Touring-Coaches fruchteten binnen weniger Wochen, unter den Fittichen des Argentiniers gewann Rodionov im Februar 2020 die Challenger Turniere in Dallas und Morelos, zudem zog er ins Halbfinale von Columbus ein. Lohn dieser Erfolge war der Vorstoß auf Platz 168 des ATP-Rankings und die zweite Einberufung in Österreichs Davis-Cup Mannschaft, die Uruguay Anfang März vor heimischem Publikum mit 3:1 besiegte und damit ins Madrider Finalturnier 2021 einzog.

 

„Ich hatte bereits bei meinem Debüt gegen Chile durchgehend Gänsehaut, es ist eine große Ehre und macht mich extrem stolz, wenn ich für mein Land spielen darf.“

 

Was einige Zeit nicht der Fall war, denn wie das meiste andere, wurde auch der Tennissport von Covid-19 ausgebremst. Nach einer fünfmonatigen Turnierpause schlug Jurij innerhalb von vier Wochen bei fünf Turniere auf, ehe er zu den French Open nach Paris reiste. Dort setzte er sich in der letzten Qualifikationsrunde gegen Landsmann Sebastian Ofner durch, erreichte erstmals in seiner Karriere die Hauptrunde eines Grand Slam Turniers und legte noch ein Schnauferl nach. Rodionov drehte ein verloren geglaubtes Match gegen Jeremy Chardy, setzte sich nach 0:2-Satzrückstand und einem abgewehrten Matchball nach 4:36 Stunden gegen den Franzosen durch. Ein viel umjubelter Premierensieg, der allerdings auch Spuren hinterlassen hatte - in Runde zwei des Sandplatzklassikers musste sich der Österreicher dem Slowaken Norbert Gombos beugen.

 

 

„Letztendlich war der Preis des intensiven Turnierprogramms nach dem Re-Start zu hoch, aber unterm Strich bin ich natürlich zufrieden.“

 

Die Punkte von Paris hievten Jurij Rodionov auf Platz 148 der Weltrangliste und bescherten ihm eine Wild Card für das Heimturnier in Wien. Ein Vertrauensvorschuss, dem der Linkshänder mit dem Sensationssieg gegen die Nummer 12 der Welt, Denis Shapovalov (CAN), mehr als gerecht wurde. Trotz der Zweitrundenniederlage gegen den Briten Daniel Evans unterstrich Rodionov neuerlich sein großes Potential. In nächster Konsequenz gilt es im Ranking sukzessive Boden gut zu machen und vermehrt auf der ATP-Tour im Hauptfeld aufzuschlagen. Idealerweise gleich beim ersten Saison-Kracher Mitte Jänner in Melbourne.

 

 

„Ich bin mir meiner Möglichkeiten definitiv bewusst, habe mittlerweile ein super professionelles Umfeld und lasse die Ärmel hochgekrempelt. Vorrangiges Ziel ist mehr Konstanz in mein Spiel zu bekommen, wenn das gelingt, bin ich für den weiteren Karriereverlauf absolut optimistisch.“